den Steppenwolf anerkennen

"Auch wer keinen Wolf in sich hat, braucht darum nicht glücklich zu sein. Und auch das unglücklichste Leben hat seine Sonnenstunden und seine kleinen Glücksblumen zwischen dem Sand und Gestein. So war es denn auch bei dem Steppenwolf. Er war meistens sehr unglücklich, das ist nicht zu leugnen, und unglücklich konnte er auch andre machen, nämlich wenn er sie liebte und sie ihn. Denn alle, die ihn lieb gewannen, sahen immer nur die eine Seite in ihm. Manche liebten ihn als einen feinen, klugen und eigenartigen Menschen und waren dann entsetzt und enttäuscht, wenn sie plötzlich den Wolf in ihn entdecken mussten. Und das mussten sie, denn Harry wollte, wie jedes Wesen, als Ganzes geliebt werden und konnte darum gerade vor denen, anderen Liebe ihm viel gelegen war, den Wolf nicht verbergen und Weglügen. Es gab aber auch solche, die gerade den Wolf in ihm liebten, gerade das Freie, Wilde, Unzähmbare, Gefährliche und Starke, und diesen wieder war es dann außerordentlich enttäuschend und jämmerlich, wenn plötzlich der wilde, böse Wolf auch noch ein Mensch war, auch noch Sehnsucht nach Güte und Zartheit in sich hatte, auch noch Mozart hören, Verse lesen und Menschheitsideale haben wollte. Gerade diese waren meistens besonders enttäuscht und böse, und so brachte der Steppenwolf seine eigene Doppeltheit und Zwiespältigkeit auch in alle fremden Schicksale hinein, die er berührte." 
Hermann Hesse


So setzt du Grenzen nicht nur dir zuliebe, sondern um anderen die Möglichkeit zu lassen, in und mit dir einen ganzen wahren Menschen kennenzulernen. Einen Menschen, der nicht wie ein Schwamm alle Bedürfnisse und Verhaltensrichtlinien von außen aufsaugt. Einen Menschen, der nicht regelmäßig ausläuft, um vermeintliche Lücken in anderen zu füllen. Grenzen sind nicht da, um sich gut anzufühlen, sondern um überhaupt etwas zu fühlen. Einen Raum zu haben, in dem du du bist und in greifbarer Nähe zu deinen Gefühlen sein kannst. Ein Raum, in dem du Wolf und traurig und sehnsüchtig und verletzlich und zart und liebevoll und voll von so viel, wie du nur willst, sein darfst. Triffst du an einer solchen Grenze auf jemand anderen, kannst du weiter du sein, und gleichzeitig die Grenze des anderen respektieren. So dürfen Doppeltheit und Zwiespältigkeit und alles andere existieren, ohne in fremde Schicksale eindringen zu müssen. 
Ohne, dass du diese und damit dich verlieren musst. 

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